Freiheitsliebend und mit einem grossen Bedürfnis nach Raum und Licht, ist die Kings Hall in der verlassenen Zellulose Fabrik im Attisholz für mich der schönste Ort. Beim heutigen Betreten der Halle ist die Veränderung seit meinem ersten Rundgang im August klar spür- und sichtbar, die fesselnden und aufregenden Vibes haben jedoch keineswegs an Wirkung verloren, im Gegenteil. Das Kunstwerk, welches auf der grossen Wand der Kings Hall auf einen runterblickt, lässt mich beeindruckt innehalten und staunen.

Philipp Tschanz aka Dest Jones und seine Street Art Freunde haben in dem grottenartig wirkenden Raum ein Masterpiece geschaffen, welches von eben dieser Stimmung der Tropfsteine, staubig-diffusem Licht und Unebenheiten in Boden und Wänden geprägt ist. Durch die Perspektive eines Schädels – das Skelett einer alten Fabrik – schaut man auf die verschiedenen Charaktere und aber auch auf nicht figurative Kunstformen.

Die berühmte ‚destmachine’ bildet sich neben der Rennschnecke aus der unendlichen Geschichte ab – hier hat sie genmanipulierte Zellulose gefressen und erscheint riesig und irr. Meine doch stark laienhafte Kompetenz über Street Art und Graffiti wird geduldig und mit viel Humor erweitert und so erfahre ich, dass der Hintergrund der Wand grösstenteils mit Dispersion Farbe gesprayt wird, was auch mit Hilfe einer Maschine effektiver von Statten geht – die Bilder und Details werden dann mit der Spraydose gemalt.

Dest hat mit zwölf Jahren angefangen zu malen und seine Referenzen gehen bis in die 80er Jahre zurück. Er ist neben seiner Street Art Kunst auch Grafiker. ‚Das Malen ist ein Entwicklungsprozess über Jahre,‘ so Dest – ‚Das Umfeld, die Vibes, die Leute und der Ort müssen stimmen für das perfekte Bild – inspiriert bin ich aber immer, die Ideen für meine Werke ergeben sich überall und von alleine.‘

Gestartet im Jahre 1994 sind sein grosses Highlight die Wynwood Walls in Miami, wo er mit seiner Writer Crew – The Color Children – an der Art Miami tagelang malt. Mit dem warmen Wetter, den Leuten, dem Essen und der Atmosphäre vor Ort, ist dies laut Dest das perfekte Umfeld für richtig gute Street Art. Nebst Graffiti ist Dest als Laternenmaler an der Basler Fasnacht bei einer grossen Clique engagiert, ausserdem war er im Jahr 2010 der Erste von drei Künstlern, die auf Anfrage von Camel Zigarettenpackungen designten.

Zurück in die Kings Hall. Am Ende unseres Gesprächs angekommen, passieren zwei von Dests Street Art Freunden, von welchen sich mir der eine mit Darco vorstellt. Geboren in Deutschland, lebt und arbeitet er heute in Paris, wo er im Jahr 1984 sein erstes Bild gemalt hat. Darco ist Frankreichs erster Graffiti Künstler und hat als einer von Europas erster Graffiti-Writer den offiziellen Titel ‚artist‘ erworben.  Darco hat immer gemalt und arbeitet nun seit 1996 als freischaffender Künstler – spezialisiert in Graffiti-Writing. Er arbeitet vor allem mit nicht figurativen Kunstformen; deformiert und transformiert Schriftzeichen aller Art. Das Ziel seiner Kunstwerke ist nicht die Lesbarkeit, vielmehr aber deren Formen, der Rhythmus, die Dynamik – genau das, was er von sich gibt, wenn er malt.

Atyswood glänzt für ihn als Projekt, welches er mit Freunden gestalten kann und mit ihnen ein gemeinsames Projekt schafft, welches sich aus all den verschiedenen Street Art Stilen der Künstler zusammensetzt. Er liebt die Spontanität dabei, und wie die Kunstwerke verbunden mit dem Ambiente der Halle, des Fabrikgeländes und der Community der Street Artists entstehen können.

Aktuell stellt Darco an der 8e Avenue Art Show in der Champs-Élysees in Paris aus, eine internationale gegenwärtige Kunstausstellung. Des Weiteren sind seine Kunstwerke in der OZM Art Space Gallery in Hamburg bis Ende Dezember dieses Jahres zu bewundern, plus an der Art Fair in Köln vom 27.-30. Oktober 2016.

Ich geselle mich nun zum Dritten im Bunde, Sven aka Sonic oner. Sonic kommt aus Biel und arbeitet seit 15 Jahren europaweit als freischaffender Künstler. Bei seinen Kunstwerken lässt er sich vor allem durch die Flora und Fauna unserer Welt inspirieren, welche ihm näher sind als die Menschen. Seine Kunstwerke sind eine Ode an die Natur, mit welchen er Wertschätzung und Bewunderung daran ausdrückt.

Wo er in der Hochsaison der Street Art – Frühling und Sommer – grössere ‚murals‘ kreiert, arbeitet er in den kälteren Monaten an Pinselbildern oder Porträtskizzen.

Auch er verbindet Atyswood mit dem Grottenthema. ‚Die Fabrik ist der Schädel; das Skelett, das von einer Fabrik übriggeblieben ist, und aus welchem man jetzt den Blick in die lebende Natur gewinnt‘, so Sonic. Es sei ausserdem ein Mahnmal an die toten Bäume – Sonic malt mit Leidenschaft für die tierischen und pflanzlichen Lebewesen und schenkt mit seinen Werken Energie und Ritterlichkeit zurück an eben diese. Das ‚Skelett‘, welches aus der Grotte kommt und über dem Wasser schwebt bildet mit den Wirbeln Rückgrat ab, es kann menschlich gesehen werden, technisch, mechanisch oder – tierisch. Mit einem schwebenden Lastwagen kreierte er ausserdem an der Aussenwand der Kings Hall ein riesiges Schwert – siehe dazu auch Mike Wolff’s faszinierende Beschreibung des Kunstwerks und dessen Entstehung. Die Freundschaft zu den anderen Street Artists, und die Zusammensetzung der einzelnen Kunstwerke dieser Verbindungen macht für ihn das Projekt Atyswood einzigartig.

Sonic’s Werke sind zurzeit an der Street Art Limited in Baden bis zum 29. Oktober 2016 zu sehen.

Die Kings Hall ist zweifelsohne die Hall of Fame  of Street Art.

Grossen Dank an die drei Künstler für die offenen Worte und dem Kettenreaktion Team für diese Gelegenheit.

Text: Lucie Pfaendler

Fotos: Lucie Pfaendler & Mike Wolff