Von Frank „Gold“ Nickerl

Die Anreise per se war nicht ausschlaggebend für das Erlebnis kettenreaktion.jetzt in Attisholz, jedoch kam es dabei zu einem prägenden Ereignis. Während der Zugfahrt zwischen Oensingen und Solothurn war es die mehrfach geäußerte, wunderbar drängende Ansage der nicht live eingesprochenen Zugbegleiterstimme: „Halt auf Verlangen“. Was sollte das bedeuten?, fragte ich mich. Musste ich mich dem Personal zuwenden, um die Ansage „Halt, stopp ich will hier aussteigen“ zu tätigen?

Aber es war kein Zugbegleiter anwesend, der meinen Ruf hören konnte. Ich war fast allein. „Da ist ein Drücker an der Tür“, äußerte sich eine ältere Dame ein paar Bänke weiter, die mich durch das Zugabteil irren sah. Drücken, sollte ich die Taste, drücken wenn ich aussteigen möchte. Nach einem vorsichtigen Vorabtest, an einer kommenden scheinbar kleinen Haltestelle wo ich mich traute die Taste zu drücken, hielt der Zug. Keiner stieg ein. Und weil ich so scheu bin und mich allzeit fürchte, entstand in mir ein kleines Problemchen hinsichtlich einer scheinbaren Untat in einem fremden Land.

Den Zugführer wollte ich weder verwirren, noch verärgern, noch wütend werden lassen dadurch das ich nicht reagierte und somit entschied ich mich in Buchli attock auszusteigen. Der Zug fuhr ab. Ich stand da und fühlte mich verlassen und allein, es war sehr kalt draußen und es schneite….. Halt, stopp, stopp, stopp. Sorry, alles Blödsinn – das stimmt nicht was ich hier schreibe. Es ist nur wegen diesem wunderbaren Statement von „Halt auf Verlangen“.

Das klingt so extrem poetisch, dass man daraus den dramatischen Roman eines einsamen Reisenden, also ungefähr so wie On the Road – Now, mit einem Jack Keroac–Effekt schreiben könnte. Weiter. Weiter. Weiter. Für Riedholz drückte ich aufrichtig und entschieden die Taste und der Zug hielt. Ich stieg aus, folgte der Spur der Straße durch den angrenzenden Wald. Als sich das Waldgebiet öffnete, hörte ich zunächst und entdeckte dann echte Schweizer Kühe. Je mehr ich mich den Tieren näherte, je lauter war ein merkwürdiges, angrenzendes Geräusch zu vernehmen. Tok – zwei Sekunden Pause – Tok – zwei Sekunden Pause – Tok und so weiter und so weiter.

Die Kühe betrachtenden wie hypnotisiert den Standort der Soundquelle, die sich im circa fünf bis zehn Meter Abstand befand. Auf den direkt angrenzenden zwei Tenniscourts wurden kraftvoll schmetternde Ballwechsel gespielt und vom sehr leisen und gemächlichen Gemuhe begleitet. Am Kuhtenniscourt mit deckungsgleicher Sandfarbe dieser Schweizer Kuhfelle blieb ich durch meinen Halt auf Verlangen länger stehen und fühle mich an „Infinite Jest“ von David Foster Wallace erinnert.

All das hier ist mir bei weitem angenehmer als bei einem meiner deutschen Standorte: Frankfurt am Main, denn bei offenem Fenster oder gegenüber meiner Haustür, direkt am Hauptbahnhof vernehme ich neben den Durchsagen am Gleis, vor allem die Soundcollagen aus Rollkoffer- und Stöckelschuhgeklapper. Das macht mich sehr unlustig. Als ich mich nach längerer Betrachtung mit schwerem Herzen abwende gehe ich weiter, dorthin wo man sich dem klaren Wasser der Aare nähert.

Nach wenigen federnden Schritten im Ballwechselrhytmus betrat ich das Gelände der Zellulosefabrik Attisholz Nord. Und nachdem mir der Zugang gewährt wurde, beginnt die Kettenreaktion wo einfach Alles Allen zur Verfügung steht. Leute, die ich nicht kenne sind um mich herum. Ausschließlich wunderbare Zeitgenossen sind anwesend und man fühlt sich sofort wie im idealen Zuhause, eine Quasi–Heimat (– Keine Schmonzette hier und jetzt, dass ist mein Ernst!) Man bringt mich in eine super Unterkunft auf dem Gelände, man bietet mir gutes Essen. Ich werde versorgt. Als Einzelkinds eines Einzelkinds ist das nahezu notwendig. Es gibt auch Honig und Honig ist golden und um weitere goldige Effekte entstehen zu lassen begebe ich mich auf meinen Gang durch das formidable Gelände.

 

Viele sind bereits am Machen. Man findet so viele Zustände, Orte und bereits gezeitigte Werke weiterer Teilnehmer, dadurch beginnen der Ideenansatz und der mögliche Tatendrang direkt zu werkeln. „Also ich nehme den Bereich….. Ne, der ist auch gut…… Oder der da?, der ist ja cool!…. Ne, ich nehme den da.“ „Ist noch eines der kreisrunden Löcher am hohen Turm mit der Abflugplattform in höchster Höhe zu beziehen?“ Hoch. Runter. Vor. Zurück und noch einmal. Alles ist goldig. Mein endgültiger Halt auf Verlangen ist geschehen, als ich die große Werkstatt entdecke, dort wo der ankerartige Transporthacken aus dem Deckenunterkonstruktionsfeld herabhängt.

Ein brachiales Objekt nehme ich wahr. „Lasst mich das vergolden!, das und noch vieles andere mehr.“ Und trotz der Situation durch die Begrenzung des Zellulose Art Campus Geländes war ich dort angekommen wo ich eigentlich immer sein möchte: Im Zustand des Überallseins. Danke Jack Keroac, denn auch Du hattest einige Mal, wenn auch nur den ephemeren Wunschverve: Halt auf Verlangen. Auch ich blieb erst mal hier…..

Anmerkung der Redaktion:

Frank Nickerl ist gekommen um zu vergolden….
…und golden ist auch die kommende Publikation Kettenreaktion 16

Die Publikation „KR16 campus recording 1.0“ ist ab 27.Mai an der Präsentation, im Buchhandel oder direkt beim Verein BTS erhältlich.